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05.12.2010 um 18:10 Uhr
Ski-Klassiker #1: Saslong

Das ist das Bild, das sich aktuell von meinem Balkon aus bietet. Es ist Winter! Und nur noch zwei Wochen bis zum größten Skirennen alljährlich in meiner Heimat: Abfahrtsklassiker in St. Christina/Gröden.

Der alpine Ski-Weltcup erfährt in Deutschland nur recht begrenzte Aufmerksamkeit. Die Golden Girls um Maria Riesch, Vicky Rebensburg und Kathrin Hölzl sind im Aufschwung (auch nach dem Verlust ihres Cheftrainers), die Männer aber seit Jahren unter ferner Liefen. Trotzdem: Die Weltcup-Abfahrten generieren immer ihre Aufmerksamkeit.

Die Big Five

Auch wenn mittlerweile auf den verschiedensten Strecken der Welt gefahren wird: Fünf Abfahrtsstrecken im Herrenkalender genießen Kultstatus - die "Abfahrtsklassiker". In der Reihenfolge:

Saslong in Gröden Mitte/Ende Dezember
Stelvio in Bormio um den Jahreswechsel
Lauberhorn in Wengen Mitte Jänner
Streif in Kitzbühel Ende Jänner
Kandahar in Garmisch, kein fixer Termin und heuer die WM-Abfahrt

Die Saslong glänzt durch ihre gewaltige Berg-Kulisse, die Stelvio gilt als die Abfahrt, wo du als Fahrer vor lauter Schlägen schon zur Hälfte nur mehr brennende Oberschenkel spürst, Wengen mit seinem Lauberhorn ist die längste, interessanteste und "altmodischste" Strecke (und meine Lieblingsabfahrt) mit Eiger, Mönch und Jungfrau im Hintergrund, Kitzbühel ist Party pur gemixt mit der vermutlich schwersten Abfahrt, und Garmisch mit einem ebenso schwierigen Streckenprofil.

Es klirrt.

Wer ins Grödental fährt, dem fällt erstmal nur eine gigantische Masse an Hotelbetrieben auf. Früher, als man sich in St. Christina noch durch den Stau mitten durch das Dorfzentrum quälen musste, konnte man die Zieleinfahrt von der Straße aus sehen - und sehr leicht übersehen. Mittlerweile führt eine Umfahrungsstraße den geneigten Skifahrer bzw. Bergsteiger durch einen Tunnel um das Dorf herum, unter der Piste hindurch, mit einer eigenen Ausfahrt zur "Saslong"-Seilbahn. Im Sommer wird der Zielbereich als Parkplatz genutzt, im Winter wird man gleich nebenan geleitet.

Vom Zielstadion aus sieht man im Grund nur die letzten acht, neun Sekunden eines jeden Abfahrers. Dadurch, dass es ganz unten im Tal liegt, in der Nähe auch noch eines Baches, und das Rennen um die Mittagszeit stattfindet, friert man sich im eiskalten Dezember gerne mal den Popo ab, sofern man sich entscheidet, das Rennen dort unten zu verfolgen. Sonne gibt es erst sehr spät - wenn überhaupt.

Saslong - So what?

Was also ist die Faszination der Saslong?

Wer einmal mit der Seilbahn hinauffährt, auf den Hügel Ciampinoi, der wird sofort belohnt. Mit einem sagenhaften Panorama. Vor dir steht eine Felswand, so lang und so breit und so hoch, einfach atemberaubend: Der Langkofel, einer der schönsten Berge der Dolomiten. "Langkofel" in der Sprache der Ladiner, der alteingesessenen Grödner ist der Saslong - langer Fels. Wer ihn gesehen hat, das weiß, wovon ich spreche.

Die Strecke ist dreieinhalb Kilometer lang und ein Wechsel von Gleitstücken, technischen Passagen und Sprüngen, teilweise recht breit und dadurch eher auf der sicheren Seite. Der Start der Saslong von Ciampinoi geht gleich rasant bergab, ehe ein längeres flacheres Stück folgt. Erst dann geht es in den Wald hinein, hin zu den berühmten Kambelbuckeln. Drei Bodenwellen, die vor ihrer Entschärfung zu einigen fürchterlichen Stürzen geführt haben: Sprünge mit Luftständen in 8-10m über 50m und mehr. Das technische schwierigste Stück sind die Ciaslat-Wiesen, wo sich der Wald öffnet, die Strecke breiter wird und auf extrem unruhigem Gelände ein paar Kurven gedreht werden, ehe es in den Zielschuss geht, der meist in der Finsternis liegt, und wo es schon passierte, dass Rehe die heranrauschenden Abfahrer irritiert haben (Ghedina!). Wer einen Tag nach dem Rennen dort hinunterschießt, dem fällt die pickelharte Piste sofort auf. Der Level an Respekt springt sofort ein paar Stufen rauf.

Reizvoll ist die große Nähe zum Dorfzentrum, wo am Freitag nach dem Super-G stets die Siegerpartys - auch die "Verlierer" nehmen daran teil - stattfinden. Kurz vor Weihnachten liegt alles in Feststimmung, und man kann mit Weltcup-Siegern wie Bode Miller oder dem Mormonen Steven Nyman gemütlich einen heben - die Stars zahlen rundenweise.

Die Knochen einsammeln

Gebaut wurde die Strecke vor 41 Jahren, für die Ski-WM 1970 im Grödnertal. Weltmeister wurde damals der Schweizer Bernhard Russi, der sich heute einen Namen macht als genialer Erbauer von neuen Abfahrtsstrecken (Vail, Beaver Creek, Kvitfjell, St. Moritz/Free Fall) macht. Der erste Südtiroler Sieger war Herbert Plank 1977 auf pickelharter Strecke, als man auf der Piste durch das Eis das Gras durchschimmern sehen konnte. Drei Jahre später übersprang mit dem Schweizer Uli Spiess erstmals Kamelbuckel #2 und #3 in einem Satz. Spiess hatte Angst um seine Knochen, doch Abfahrer sind Teufelskerle mit Risikobereitschaft hin bis zur Unverantwortlichkeit.

Kurz vor meiner Zeit (1993) gewann ein krasser Außenseiter mit extrem hoher Startnummer, weil sich durch die frühe Startzeit erst zu seiner Fahrt die Sonne über den Langkofel auf die Strecke getraute und die Piste schneller machte. 1998 musste der frisch gebackene Olympiasieger Jean-Luc Cretier nach einem fürchterlichen Sturz in die Steine seine Karriere beenden.

Rekordsieger in Gröden sind der legendäre Kärntner Franz Klammer und der Ampezzaner Kristian Ghedina, der große Publikumsliebling zu Beginn des Jahrzehnts, dem zwischendurch mal eben bei 100 km/h dieses Reh vor die Füße sprang. Die einheimischen Südtiroler haben auf der Strecke nur geringe Erfolge einfahren können. Peter Runggaldier etwa wuchs nur wenige Meter von der Strecke entfernt auf, kam aber nie in die Top 10. Vor zwei Jahren gewann immerhin Werner Heel den Super-G.

Saslong 2010

Bei den aktuellen Schneemassen wird Gröden 2010 wieder ein Spektakel. Am 17.12. findet ein Super-G statt, am 18.12. die Abfahrt. Einen Tag später geht es nach Alta Badia/Hochabteital zu einem Riesentorlauf auf der Gran Risa, neben Adelboden die schwierigste Riesenslalom-Strecke im Weltcup - ebenso für Hartgesottene ein echter Tipp!

Die Abfahrts-Favoriten dürften heuer wieder die üblichen sein: Miller, Michael Walchhofer, Didier Defago oder Didier Cuche. Es hat aber eine gewisse Tradition, dass sich alle ein-zwei Jahre in Gröden auch mal ein Außenseiter die Ehre gibt und zur Siegfahrt einschenkt.

Ich werde Saslong 2010 verpassen (muss in Rom für den Papst Christbaum aufstellen), aber vielleicht hat jemand Lust, sich das Spektakel reinzuziehen!
Aufrufe: 7031 | Kommentare: 9 | Bewertungen: 13 | Erstellt:05.12.2010
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KOMMENTARE
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Dr_D
06.12.2010 | 09:42 Uhr
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Dr_D : 
06.12.2010 | 09:42 Uhr
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Dr_D : 
Fein. Ein Blog über Abfahrtspisten. Kommen die anderen 4 auch noch? Wäre schön.

Ich bin zwar nur TV Sportler, kann weder Skifahren, noch hab ich sonst was mit Wintersport (aktiv) am Hut, aber wenn ich mal die Top Abfahrten verpasse fehlt was.

Apropos fehlt was. Der Reiz der Saslong waren die Kamelbuckeln. Seit die entschärft wurden fehlt das Spektakel. Aber die Sicherheit geht vor.

Meine persönliche Lieblingsstrecke ist auch Wengen. Dort die Lieblingsstelle der Hundschopf.
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korsakoff
06.12.2010 | 12:21 Uhr
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korsakoff : 
06.12.2010 | 12:21 Uhr
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korsakoff : 
@Dr_D

Bei den anderen Klassiker wird es schon schwieriger, da ich z.B. nie selbst über das Lauberhorn hinuntergefahren bin. Garmisch kenne ich auch (noch) nicht. Ich werde mich aber bemühen, auch die anderen Klassiker vorzustellen - bei Zeit.

Apropos Kamelbuckel/entschärft. Für den gewöhnlichen Skifahrer sind die bei höherem Tempo immer noch recht heftig, mal davon abgesehen, dass gewöhnlich noch andere Leute auf der Piste unterwegs sind.
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UliFan
MODERATOR
06.12.2010 | 12:33 Uhr
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UliFan : 
06.12.2010 | 12:33 Uhr
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UliFan : 
Super, mal ein Blog zum Skifahren

Mein "Lieblings"rennen bei den Weltcups ist Bormio,allein der Start ist grauslig

Kitz ist ja mittlerweile fast mehr Party als Sport, auch wenn die Strecke natürlich immer noch brandgefährlich ist

Ich schließe mich dem Doc an, würde mich über die anderen Pisten auch freuen
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klit
06.12.2010 | 17:48 Uhr
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klit : 
06.12.2010 | 17:48 Uhr
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klit : 
Ich bin bisher nur über die Gran Risa runter, fand ich ziemlich gut (bis auf die nervigen Schneepflug"fahrer" die meinen sie müssten da unbedingt runter^^), halt morgens etwas eisig. Vorallem mitm Snowboard dann schon heftig zu fahren wenn man das bremsen abstellen muss.^^

Gröden war ich galub ich noch nie (oder fährt man bei der Sella Ronda da durch?), ihr seid aber auch zu teuer, da bevorzug ich Val Badia, auch wenn die langen Flachstücke mitten drin schon nervig sind...
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korsakoff
06.12.2010 | 18:03 Uhr
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korsakoff : 
06.12.2010 | 18:03 Uhr
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korsakoff : 
Hallo klit,

"ihr" trifft es in Zusammenhang von "korsakoff" und "Gröden" eigentlich nicht. Bin aus einem anderen Skigebiet , ist btw auch kleiner, etwas billiger und vor allem feiner

Re: Sella Ronda
Gröden besteht hauptsächlich aus drei Dörfern: Urtisej/St. Ulrich, St. Christina und Selva/Wolkenstein. Wer nur die Basis-Strecke der Sellaronda nimmt (den direktesten Weg sozusagen), der kommt in Wolkenstein vorbei, vergeudet aber im Grunde seinen Tag. Denn die "schönen" Strecken der Sellaronda sind die Pisten ringsum, z.B. auch die Gran Risa oder die Saslong-Abfahrt. Man kann von denen nicht alle an einem Tag machen, es sei denn, man stresst sich gewaltig. Am gescheitesten ist, man wählt sich drei-vier Strecken aus und nimmt die im Zuge der Sellaronda mit. Wenn ich mit unseren Gästen dort unterwegs bin, dann ist die Gran Risa z.B. immer dabei, sofern ich nicht Skifahrer-Neulinge dabei habe - für die könnte es dort zu steil und in der Weihnachtszeit vor allem zu eisig sein...

Nur ein kleiner Tipp für alle Fälle
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korsakoff
06.12.2010 | 18:06 Uhr
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korsakoff : 
06.12.2010 | 18:06 Uhr
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korsakoff : 
Um noch zu ergänzen: Die vorgestellte Saslong endet in St. Christina, dem mittleren der drei Dörfer im Grödner Tal.
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klit
06.12.2010 | 18:34 Uhr
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klit : 
06.12.2010 | 18:34 Uhr
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klit : 
Ah okay, ein Brixner, jetzt versteh ich auch das mit dem Papst.^^
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Büchsenmacher
07.12.2010 | 12:08 Uhr
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07.12.2010 | 12:08 Uhr
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Sella Ronda

Mamelada

Seiser Alm

St. Ulrich

Wolkenstein

ach verdammt wie lange noch

toller Blog

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xxlhonk
08.12.2010 | 16:20 Uhr
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xxlhonk : 
08.12.2010 | 16:20 Uhr
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xxlhonk : 
Gröden?
Da war ich schon.
Ist sehr anspruchsvoll.

Dieses Jahr fahre ich dahin, wo die Bayern immer ihren Mannschaftsskiurlaub gemacht haben.
Damals, als man noch keine Angst vor Verletzungen hatte.
Freue mich schon sehr drauf!
Noch gut 7 Wochen (und der Rest von dieser)!

Starke Idee, Korsakoff.
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